Sonntag, 28. Oktober 2007

Wer bist du, woher kommst du ... Wer bin ich eigentlich?

Freitag, der 12. Oktober 2007, 19 Uhr: Gerade bin ich im Women's Bookstore angekommen. Während ich auf Raquel, meine Mitbewohnerin, warte, schnappe ich mir einige Happen zu Essen, die man liebevoll für die Gäste der anstehenden Buchpräsentation bereit gestellt hat. Ich komme ins Gespräch mit Josh. Er ist ebenfalls Student in York und macht gerade seinen Master zum Thema Umweltpolitik und Basisdemokratie. Um dies zu erfahren, stelle ich die typischen Fragen: Wer bist du? Woher kommst du? Was machst du? Ebenso stellt er mir diese Fragen. Im Anschluss an das Event im Buchladen, übrigens lautet der Titel des Buches "Socialism and Democracy in Latin America", dargestellt am Beispiel Venezuelas, gehen Raquel und ich auf Erkundungstour. Wir können uns kaum mit der Meinung des Autors, der eine neue Form des Sozialismus für Lateinamerika versucht zu propagieren, anfreunden. Um uns wieder zu beruhigen, machen wir uns auf den Weg Richtung Little Italy. Wir erreichen College Street und stehen schließlich vor der Bar Il Gato Nero. Raquel hat hier früher viel Zeit verbracht und so kennt sie den ein oder anderen. Natürlich treffen wir auch heute Bekannte und erneut stellt man mir die typischen Fragen: Wer bist du? Woher kommst du? Aus Deutschland! Reaktion: Aus Deutschland? Oh, mein Freund hier kommt auch aus Deutschland! ... ich denke mir, ein Deutscher im Ausland, eigentlich hab ich gerade keine Lust darauf, Deutsch zu sprechen, also winke ich diesem Freund eben nur kurz zu, aber doch vielmehr ab. Später stellt sich heraus, das dieser Freund nicht nur Deutscher, sondern ebenso Kanadier ist, der sowohl Schwäbisch als auch Cockney imitieren kann. Was für interessante Menschen man doch trifft und wie hilfreich diese simplen Fragen, die man eigentlich satt hat, weil man sie schon tausend mal gestellt und gestellt bekommen hat, doch sind!


Zwei Wochen später sitze ich an einem Küchentisch in einem Häuschen am Rande Torontos. Während sich zwei Katzen durchs Haus jagen, diskutieren wir mit einer Argentinierin über Deutsche Identität, den Nationalsozialismus, die Deutsche Wiedervereinigung und die vielleicht alles entscheidende Wende: die Fußball WM 2006. Zwei Stunden später finde ich mich in meinem Zimmer unterm Dach wieder, im Hintergrund das Rauschen des kleinen elektrischen Ofens, während ich die das Interview mit einem NPD-Politiker transkribiere und später die Werbekampagne "Du bist Deutschland" übersetze. Das Endprodukt: eine Dokumentation über Deutsche Identität und ich darf die Übersetzungsarbeit leisten. Eine spannende Aufgabe, bei der ich schon wieder den so oft gestellten Fragen begegne.


Am Ende stelle ich mir die Frage, wer ich eigentlich bin: Deutsche, Europäerin, Thüringerin, Austauschstudentin, Hobby-Fußballerin, eine Geisha passend zu Halloween, die Tochter zweier wunderbarer Eltern, Teil eines einzigartigen Freundeskreises in heimatlichen Gefilden, Studentin an einer zukünftigen Eliteuni (man darf ja auch mal angeben ;-), die Mitbewohnerin von Olga und Raquel, ... . Das alles bin ich und ich bin glücklich, das alles sein zu dürfen. Und wenn ich genau hin schaue, dann bin ich das doch nur, dank all der liebenswerten Menschen in meinem Leben, dank all denen, die immer für mich da sind und dank denen, die kommen und gehen und dank denen, die gekommen und wieder gegangen sind. DANKE!
Olga, Raquel und ich
CCGES vs. City Centre 4:3

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Warum nicht ...!?

Ich hatte mal erwähnt, das ich euch hin und wieder über meine neusten literarischen Erlebnisse berichten würde. Noch immer beschäftige ich mich mit der Literatur der Native Americans und zwei Ansichten, die innerhalb dieser Kulturen existieren, faszinieren mich ganz besonders. Da ist zum einen "Warum nicht?" anstatt "Warum?": "The whole difference between Native people and White people can be summed up in that one, single three letter word. 'Why?' White people are so preocupied with why everything works. Why was the universe created? Why is the sky blue? Why do dogs drool when you ring a bell? 'Why' is their altar of worship. Their whole civilization is based on finding out why everything does everything. [...] 'Why not?' That's it. That's the answer. Why was the universe created? Why not? Why do leopards have spots? Why not? ... Instead of asking yourself 'why', you should try 'why not.'" - Ja, natürlich, es ist gut zu hinterfragen, denn hätten das Kopernikus, da Vinci und Co nicht getan, wo wären wir dann heute? Andrerseits hat diese "Why not" - Sichtweise doch auch seine Reize, sie scheint entspannter, gelassener, spontaner ... .
Die zweite Sichtweise, die ich mit euch teilen möchte, ist der Glaube dieser Kulturen (Native American), dass die Welt eben nicht vollendet ist, nicht geradlinig, sondern krumm, dass es nicht die eine Schöfpung gibt, sondern dass sie sich immer wieder neu erfindet. Ich mag diesen Gedanken. Er erlaubt eine zweite, dritte und vielleicht sogar vierte Chance. Auch diese Idee birgt ein Gefühl der Gelassenheit.
Für einen Tag nach Algonquin fahren, trotz negativer Wettervorhersagen und dem Entsetzen diverser Kanadier, dass man doch nicht für einen Tag nach Algonquin fahren kann - Warum nicht? Genau das haben wir letzten Samstag in Angriff genommen und was dabei raus kam, hab ich auf zahlreichen Fotos dokumentiert. Der Ausflug hat sich gelohnt, trotz dreieinhalb stündiger Anfahrt und Nieselregen. Die Farben hätten lebendiger nicht sein können und zum krönenden Abschluss hat uns sogar ein Hirsch mit prächtigem Geweih vom Straßenrand aus begrüßt, oder sollte ich besser sagen, uns eine gute Nacht gewünscht!? Wir sind hier in Toronto gegen 8 Uhr aufgebrochen. Nach einem kurzen Stop im letzten Tim Hortons (original kanadischer Fast Food Bäcker, aber erschwinglich) haben wir das übrige Tageslicht für eine kleine Wanderung genutzt, die uns an Seen und Flüssen vorbei durch einen kunterbunten Mischwald geführt hat. Statt Sonne haben uns die grell gefärbten Blätter ausreichend Licht gespendet. Gegen 17 Uhr ging es weiter nach Kingston und von dort aus haben Raquel und ich den Bus zurück nach Toronto genommen, wo wir bei 30°C von heftigen Schauern empfangen wurden, im Financial District, die Atmosphäre hätte kaum besser sein können. Nachdem ich Torontos Times Square (jedenfalls erinnert mich Yonge-Dundas Square an New Yorks Times Square) bewundert habe, ging es ab nach Hause. So gegen 0.30 Uhr gabs dann noch eine heiße Schokolade - warum nicht!?
Montag abend haben wir ganz spontan ein Thanksgiving Dinner bei uns veranstaltet. Eine abwechlsungsreiche Mischung an guten Bekannten hat es sich (hoffentlich) schmecken lassen, obwohl sich der Appetit bei 30°C (oh ja, das im Oktober in Toronto - warum nicht!?) eher in Grenzen hielt. Umso besser für uns, wir durften uns für den nächsten Tag das Kochen sparen. Natürlich ging dieses Dinner nicht bis spät in die Nacht, schließlich hieß es früh aufstehen. Ich hatte am Dienstag meine erste kleine Präsentation: mein Eindruck und einige Fragen zu Thomas Kings Green Grass, Running Water. Zu meiner Überraschung gab es im Roman auch eine Connie und die äußerte folgendes: "Man's a nice thing to have around but so's a dishwasher". Also, für all die Frauen da draußen mit gebrochenen Herzen, vielleicht hilft das ja zur Beruhigung! Das Buch enthält jedoch weitaus mehr. Humor an allen Ecken und Enden, gleichzeitig aber auch ernste Themen, über Demokratie und die Macht der Eliten, über den Bau von Staudämmen und die Zerstörung von Siedlungen, über Weiße und Natives, über Kanadier und Amerikaner. Das Buch ist derart reichhaltig, dass es wohl nur der Autor selbst in seinem ganzen Ausmaß versteht. Und ich bin stolz darauf, eben diesen life erlebt zu haben und das mein Buch (was ich gebraucht erworben habe) jetzt seine Signatur enthält (somit dürfte der Wert um einiges gestiegen sein :-)

Heute hatten wir eine kleine Feier in unserer Lab, zu Ehren von Ellen Bialystok (die Leiterin unserer Lab). Sie hat gerade eine riesige Summe an Forschungsgeldern erhalten, die ihre Forschungsprojekte rund um die Thematik Zweisprachigkeit für die nächsten fünf Jahre sichert. Der heutige Empfang war eine gute Gelegenheit, mit meinen Kolleginnen und Kollegen (Männer sind bei uns in der absoluten Minderheit) zu plaudern und viel neues dazu zu lernen.

Aus dem inzwischen etwas kühlerem Toronto grüße ich euch herzlichst. Meine Blog-Einträge mit der aktuellen Wetterlage abzuschließen, stört hoffentlich niemanden! Ich sage nur, warum nicht!?

Freitag, 5. Oktober 2007

Im Dienste transatlantischer Beziehungen

Die Welt wächst immer enger zusammen. Damit beziehe ich mich nicht nur auf die überraschende Begegnung zwischen Olga (meiner Freundin und Mitbewohnerin) und Cyril (Olgas früherem Schulkameraden), sondern ebenso auf die akademische Welt. Am letzten Wochenende hat meine Heimatuni (die FU Berlin, nur zur Erinnerung ;-) und die University of Toronto in Kooperation mit dem Canadian Centre for German and European Studies (mein derzeitiger Arbeitgeber) einen Workshop zum Thema "Transatlantic Degree Programs" veranstaltet. Für mich persönlich eine gute Gelegenheit, meine Kasse aufzubessern. Mit dem Geld ermögliche ich mir am morgigen Samstag eine Tagestour in den ältesten und zweitgrößten Naturpark Ontarios: Algonquin. Darüber später mehr! Zurück zum Workshop. Neben der kleinen Geldspritze, kulinarischen Leckereien, ehrwürdigen Räumlichkeiten ganz im Stile von Oxford und Cambridge, hatte der Workshop auch interessante Inhalte zu bieten. Folgende Kernidee wurde besprochen: die Einrichtung transatlantischer Studiengänge, die Studierenden einen dualen Studienabschluss ermöglichen, der in beiden Ländern (einem Europäischen und einem Nordamerikanischen) anerkannt wird und somit dem zukünftigen Arbeinehmer die Türen beider Arbeitsmärkte öffnet. Keine schlechte Idee, fragt sich nur, wie man bürokratische Hürden überwindet. Darüber hinaus bleibt die Frage nach der Finanzierung im Raum. Es gibt Leute, die meinen, dass Mama und Papa es schon richten werden. Keine Frage, bestimmt würden sie es gerne tun, aber zwischen würden gerne und der Umsetzung liegen nun einmal Welten. Tja, mal sehen, was so auf uns zu kommen wird, als zukünftige Eltern ... . Aber wir haben ja noch Zeit (das schreibe ich zur allgemeinen Beruhigung ;-). Oh je, ernste Themen an diesem lauen Herbstabend. Um die Thematik abzuschließen, ich glaube, wir sollten uns gen Osten orientieren, immer wieder diese transatlantischen Beziehungen, das ist doch längst nicht mehr "in fashion", oder? Das soll natürlich nicht heißen, das mir nichts an transatlantischen Beziehungen liegen würde, ganz im Gegenteil, ich fühle mich wirklich wohl hier drüben und "Toronto is definitely worth a visit!" Also, schaut doch mal vorbei!


Nachdem ich von Freitag bis Sonntag in Sachen Workshop täglich unterwegs war, ging es am Montag an der Uni weiter. Für kommenden Dienstag lese ich Thomas King's Green Grass Running Water. Nur so viel, sein Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig, eine völlig neue und gute Erfahrung. Außerdem muss ich ein kleines Forschungsprojekt im Rahmen meines Psycholinguistik-Seminars machen. Ich untersuche kategoriale Wahrnehmung, in dem ich meinen Testpersonen "da" und "ta" vorspiele (52 mal). Diese sind jedoch unterschiedlich deutlich artikuliert, so dass man manchmal nicht klar zwischen [d] und [t] unterscheiden kann. Jedenfalls gibt es eine bestimmte Schwelle zwischen den besagten Stoplauten und diese Schwelle ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich. Ich vermute, dass sie sich auch unterscheidet, je nach dem, welche Sprache das Individuum spricht. Während es z.B. im Deutschen und im Russischen "da" als Wort gibt, gilt das nicht für Englisch. Mal schauen, ob ich auf interessante Erkenntnisse stoße (etwa einen verschobenen Schwellenwert für deutsche und russische Muttersprachler ;-) Auch mein anderes Projekt (Verlgeich von Monolinguals und Bilinguals durch die Untersuchung ihres Kurzzeitgedächtnisses) hat begonnen. Bereits fünf Testpersonen haben sich der beinahe 90 minütigen Testprozedur unterzogen. Auch für mich ist das nach einer Weile recht ermüdend, aber ich finds noch immer spannend und freu mich auf die Phase der Datenanalyse. Vorher heißt es jedoch Daten sammeln.

So, nun habe ich genug Wissen mit euch geteilt. Das nächste Mal gibts was Erfrischendes: Canada's Indian Summer. Ich bin schon ganz gespannt auf die farbenfrohe Natur, von der man natürlich auch in Toronto ein bisschen was zu sehen bekommt, aber außerhalb der Stadt ists bestimmt viel schöner. Zugegeben, manchmal kommt eben doch das Landei in mir durch und die Sehnsucht nach den Wäldern und Feldern.

Herbstliche Grüße,
eure Conny